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Die Chemie der Nukleinsäuren

Von Udo Wid und Gerhard Pohl

Der Ignaz-Lieben-Preis ging 2005 an Ronald Micura, einen Chemiker, der auf dem Gebiet der Synthese, Struktur und Funktion von modifizierter Ribonukleinsäure arbeitet.

Context of Discovery

Die Forschungsaktivitäten Ronald Micuras behandeln die »chemische Biologie« von Nukleinsäuren. Sein Interesse gilt der Untersuchung der Einflüsse natürlich vorkommender und artifizieller Nukleosidmodifikationen auf Struktur und Funktion von Ribonukleinsäuren (RNA). Als sein wichtigster Beitrag gilt eine effiziente Methode für die Synthese von RNA mit positionsspezifischen Selengruppen. Die derartig modifizierte RNA vereinfacht das Verfahren der dreidimensionalen Strukturanalyse mittels Röntgenkristallographie entscheidend und lieferte z.B. den Durchbruch für die erste Strukturaufklärung eines in vitro selektionierten Ribozyms, welches die Bildung einer C-C Bindung katalysiert.1), 2) »Die Entwicklung innovativer chemischer Synthesemethoden für biologisch relevante Nukleinsäuren und deren Strukturbiologie stellt eine große und spannende Herausforderung für den interdisziplinär denkenden organischen Chemiker dar«, sagt Micura.

Micura untersucht Methylierungen der Nukleobasen im Hinblick auf Strukturänderungen; RNA, die mittels künstlicher Nukleobasen strukturell gezielt manipulierbar wird; bistabile RNA und deren rationalen Entwurf und künstliche Riboschaltermotive, die in den nicht-kodierenden Regionen der mRNA für die Genregulation genutzt werden sollen. In Kooperation mit dem Molekularbiologen Norbert Polacek (Innsbruck) gelang die Rekonstitution funktioneller Ribosome mit spezifischen Nukleosidmodifikationen, die zur Aufklärung des Mechanismus der ribosomalen Proteinsynthese genutzt werden.3)

Durchsetzung

Auf die Frage nach der Durchsetzung seiner Forschungsideen meint Micura, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für ihre Realisierung im Rahmen bewilligter Forschungsprojekte die Freiheit ist, neuen vielversprechenden Ansätzen nachgehen zu dürfen, auch wenn sie vom ursprünglichen Forschungsplan deutlich abweichen. »Diese Freiheit wird durch die aktuellen Forschungsförderungsstrukturen und den Trend zur Ausschreibung immer größerer Projektverbunde und Netzwerke eingeschränkt.« So wurden die ersten Schritte zur oben genannten Methode für Selen-modifizierte RNA nach einer inspirierenden internationalen Konferenz in einem Nebenprojekt verwirklicht, für das aber die notwendigen Mittel mühsam aufgebracht werden mussten.

Ronald Micura

Ronald Micura wurde 1970 in Linz / Oberösterreich geboren, studierte hier Technische Chemie, promovierte mit Auszeichnung und ging 1996 mit einem Schrödinger-Stipendium des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF zu Prof. Albert Eschenmoser an die ETH Zürich. Nach einem Aufenthalt am Scripps Research Institute in La Jolla / USA habilitierte er sich 2003 im Fach Organische Chemie an der Universität Innsbruck, wo er 2004 als Universitätsprofessor an das Institut für Organische Chemie berufen wurde. Er ist Mitglied des Zentrums für Molekulare Biowissenschaften lnnsbruck (CMBI).

Micura erhielt 1996 den GÖCH-Förderungspreis, 2003 den Novartis-Preis und nun den Lieben-Preis 2005. Er beschäftigt sich mit der chemischen Biologie von Nukleinsäuren – insbesondere von chemisch modifizierten Ribonukleinsäuren. Das Gebiet wird durch neue Synthesemethoden, die Micura entwickelt, wesentlich belebt.

Die Ribonukleinsäure (RNA) stand anfangs im Schatten der strukturell nahe verwandten Desoxyribonukleinsäure (DNA), die der Allgemeinheit als Träger des Erbgutes bewusst ist. Lange Zeit kannte man die RNA lediglich als strukturelle Komponente in den Ribosomen (rRNA), als Transportmolekül in der Proteinbiosynthese (tRNA), und als Matrize in der Übertragung der Erbinformation (mRNA). Erst Anfang der Achtzigerjahre zeigte sich mit der Entdeckung der Ribozyme durch Cech und Altmann, dass die RNA ein breiteres Spektrum an Funktionen ausübt. Dies wurde durch die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der nicht-kodierenden RNAs (ncRNAs) bestätigt. Die Entdeckungen der RNA-Interferenz (RNAi) und der Riboschal-ter gelten als die beiden wichtigsten neuen Erkenntnisse in der RNA-Welt.

Der Ignaz-Lieben-Preis ging 2005 an Ronald Micura, einen Chemiker, der auf dem Gebiet der Synthese, Struktur und Funktion von modifizierter Ribonukleinsäure arbeitet.

Context of Discovery

Die Forschungsaktivitäten Ronald Micuras behandeln die »chemische Biologie« von Nukleinsäuren. Sein Interesse gilt der Untersuchung der Einflüsse natürlich vorkommender und artifizieller Nukleosidmodifikationen auf Struktur und Funktion von Ribonukleinsäuren (RNA). Als sein wichtigster Beitrag gilt eine effiziente Methode für die Synthese von RNA mit positionsspezifischen Selengruppen. Die derartig modifizierte RNA vereinfacht das Verfahren der dreidimensionalen Strukturanalyse mittels Röntgenkristallographie entscheidend und lieferte z.B. den Durchbruch für die erste Strukturaufklärung eines in vitro selektionierten Ribozyms, welches die Bildung einer C-C Bindung katalysiert.1), 2) »Die Entwicklung innovativer chemischer Synthesemethoden für biologisch relevante Nukleinsäuren und deren Strukturbiologie stellt eine große und spannende Herausforderung für den interdisziplinär denkenden organischen Chemiker dar«, sagt Micura.

Micura untersucht Methylierungen der Nukleobasen im Hinblick auf Strukturänderungen; RNA, die mittels künstlicher Nukleobasen strukturell gezielt manipulierbar wird; bistabile RNA und deren rationalen Entwurf und künstliche Riboschaltermotive, die in den nicht-kodierenden Regionen der mRNA für die Genregulation genutzt werden sollen. In Kooperation mit dem Molekularbiologen Norbert Polacek (Innsbruck) gelang die Rekonstitution funktioneller Ribosome mit spezifischen Nukleosidmodifikationen, die zur Aufklärung des Mechanismus der ribosomalen Proteinsynthese genutzt werden.3)

Durchsetzung

Auf die Frage nach der Durchsetzung seiner Forschungsideen meint Micura, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für ihre Realisierung im Rahmen bewilligter Forschungsprojekte die Freiheit ist, neuen vielversprechenden Ansätzen nachgehen zu dürfen, auch wenn sie vom ursprünglichen Forschungsplan deutlich abweichen. »Diese Freiheit wird durch die aktuellen Forschungsförderungsstrukturen und den Trend zur Ausschreibung immer größerer Projektverbunde und Netzwerke eingeschränkt.« So wurden die ersten Schritte zur oben genannten Methode für Selen-modifizierte RNA nach einer inspirierenden internationalen Konferenz in einem Nebenprojekt verwirklicht, für das aber die notwendigen Mittel mühsam aufgebracht werden mussten.

Ronald Micura

Ronald Micura wurde 1970 in Linz / Oberösterreich geboren, studierte hier Technische Chemie, promovierte mit Auszeichnung und ging 1996 mit einem Schrödinger-Stipendium des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF zu Prof. Albert Eschenmoser an die ETH Zürich. Nach einem Aufenthalt am Scripps Research Institute in La Jolla / USA habilitierte er sich 2003 im Fach Organische Chemie an der Universität Innsbruck, wo er 2004 als Universitätsprofessor an das Institut für Organische Chemie berufen wurde. Er ist Mitglied des Zentrums für Molekulare Biowissenschaften lnnsbruck (CMBI).

Micura erhielt 1996 den GÖCH-Förderungspreis, 2003 den Novartis-Preis und nun den Lieben-Preis 2005. Er beschäftigt sich mit der chemischen Biologie von Nukleinsäuren – insbesondere von chemisch modifizierten Ribonukleinsäuren. Das Gebiet wird durch neue Synthesemethoden, die Micura entwickelt, wesentlich belebt.

Die Ribonukleinsäure (RNA) stand anfangs im Schatten der strukturell nahe verwandten Desoxyribonukleinsäure (DNA), die der Allgemeinheit als Träger des Erbgutes bewusst ist. Lange Zeit kannte man die RNA lediglich als strukturelle Komponente in den Ribosomen (rRNA), als Transportmolekül in der Proteinbiosynthese (tRNA), und als Matrize in der Übertragung der Erbinformation (mRNA). Erst Anfang der Achtzigerjahre zeigte sich mit der Entdeckung der Ribozyme durch Cech und Altmann, dass die RNA ein breiteres Spektrum an Funktionen ausübt. Dies wurde durch die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der nicht-kodierenden RNAs (ncRNAs) bestätigt. Die Entdeckungen der RNA-Interferenz (RNAi) und der Riboschal-ter gelten als die beiden wichtigsten neuen Erkenntnisse in der RNA-Welt.


Bild: Selen-modifizierte RNA durch Festphasensynthese

In dieser Welt gibt es faszinierende interdisziplinäre Betätigungsfelder für den bioorganischen Chemiker. Micuras Begeisterung über das sich auftuende Neuland ist verständlich. Er schildert im Gespräch, wie er mit seiner Arbeitsgruppe das Gebiet der künstlichen RNA angeht:

"Der steten Weiterentwicklung von RNA-Synthesemethoden kommt dabei höchste Bedeutung zu. Mittels Festphasensynthese gelingt es, programmgesteuert und automatisiert bis zu achtzig Nukleotide in beliebiger Folge zu einem RNA-Strang aufzubauen."

Sie stellt einen zentralen Forschungsschwerpunkt Micuras dar und ermöglicht es, RNA mit positionsspezifischen Modifikationen in großen Mengen herzustellen, um ihre Eigenschaften zu studieren. In der Natur sind neben den vier Standardnukleotiden Adenosin, Uridin, Cytidin und Guanosin mehr als 90 chemisch modifizierte Nukleoside identifiziert worden, deren Funktion bisher nur unzureichend geklärt ist. Micuras Gruppe hat experimentell belegt, dass von Nukleosidmodifikationen eine aktive Beeinflussung auf die Ausbildung unterschiedlicher Sekundärstruktursegmente ausgeht.4) Diese Erkenntnis wurde in der Folge auch für den Entwurf kleiner künstlicher Riboschalter genutzt.5)

Micura betreibt auch die Entwicklung einfacher NMR-spektroskopischer Methoden zur Verifikation von RNA-Sekundärstrukturen, so auch zur Identifikation kurzer bistabiler RNA, d.h. von RNA, die in unterschiedlichen, definierten Strukturen gleichzeitig existiert.6), 7)

In enger Kooperation mit Norbert Polacek wird an der Rekonstitution von funktionellen Ribosomen gearbeitet, die positionsspezifische Nukleosidmodifikationen enthalten. Ziel ist die Aufklärung des Mechanismus der ribosomalen Proteinsynthese.

Micuras Forschungstätigkeiten stellen eine ideale Symbiose aus chemischer Synthese mit vielseitigen struktur- und funktionsbiologischen Fragestellungen dar.

Bild: Selen-modifizierte RNA durch Festphasensynthese

In dieser Welt gibt es faszinierende interdisziplinäre Betätigungsfelder für den bioorganischen Chemiker. Micuras Begeisterung über das sich auftuende Neuland ist verständlich. Er schildert im Gespräch, wie er mit seiner Arbeitsgruppe das Gebiet der künstlichen RNA angeht:

"Der steten Weiterentwicklung von RNA-Synthesemethoden kommt dabei höchste Bedeutung zu. Mittels Festphasensynthese gelingt es, programmgesteuert und automatisiert bis zu achtzig Nukleotide in beliebiger Folge zu einem RNA-Strang aufzubauen."

Sie stellt einen zentralen Forschungsschwerpunkt Micuras dar und ermöglicht es, RNA mit positionsspezifischen Modifikationen in großen Mengen herzustellen, um ihre Eigenschaften zu studieren. In der Natur sind neben den vier Standardnukleotiden Adenosin, Uridin, Cytidin und Guanosin mehr als 90 chemisch modifizierte Nukleoside identifiziert worden, deren Funktion bisher nur unzureichend geklärt ist. Micuras Gruppe hat experimentell belegt, dass von Nukleosidmodifikationen eine aktive Beeinflussung auf die Ausbildung unterschiedlicher Sekundärstruktursegmente ausgeht.4) Diese Erkenntnis wurde in der Folge auch für den Entwurf kleiner künstlicher Riboschalter genutzt.5)

Micura betreibt auch die Entwicklung einfacher NMR-spektroskopischer Methoden zur Verifikation von RNA-Sekundärstrukturen, so auch zur Identifikation kurzer bistabiler RNA, d.h. von RNA, die in unterschiedlichen, definierten Strukturen gleichzeitig existiert.6), 7)

In enger Kooperation mit Norbert Polacek wird an der Rekonstitution von funktionellen Ribosomen gearbeitet, die positionsspezifische Nukleosidmodifikationen enthalten. Ziel ist die Aufklärung des Mechanismus der ribosomalen Proteinsynthese.

Micuras Forschungstätigkeiten stellen eine ideale Symbiose aus chemischer Synthese mit vielseitigen struktur- und funktionsbiologischen Fragestellungen dar.


1) C. Höbartner et al., J. Am. Chem. Soc. 2005, 127, 12035   Zurück
2) A. Serganov et al., Nat. Struct. Mol. Biol. 2005, 12, 218   Zurück
3) M.D. Erlacher et al., Nucl. Acids Res. 2005, 33, 1618   Zurück
4) C. Höbartner et al., Angew. Chem. 2002, 114, 619   Zurück
5) C. Höbartner et al., Angew. Chem. 2004, 116, 4012   Zurück
6) C. Höbartner, R. Micura, J. Mol. Biol. 2003, 325, 421   Zurück
7) C. Kreutz et al., J. Am. Chem. Soc. 2005, 127, 11558   Zurück

Quelle: Nachrichten aus der Chemie. Mitteilungsblatt der Gesellschaft Österreichischer Chemiker, Heft 01/2006