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Der Ignaz-Lieben-Preis und seine Preisträger

Von Udo Wid

In dieser Artikelreihe aus den GÖCH-Heften der »Nachrichten aus der Chemie« sollen einstmalige und gegenwärtige Chemiepreisträger des österreichischen Ignaz-Lieben-Preises auf etwas andere Art vorgestellt werden. Die Beiträge werden nach einem feststehenden Schema die Fragen beantworten: Wie kamen die Geehrten zu ihrer Entdeckung? Wie setzten sie diese durch?

Context of Discovery

Entdeckungen lesend nachzuvollziehen ist eine Art, wie man sich selbst in eine kreative Stimmung bringt. Die vielen tastenden Schritte. Vermutungen, Rückschläge, bis dann etwas funktioniert, messbar wird. Dabei ist die Frage nach dem Zeithorizont interessant: Was wusste man damals, was ahnte man, wer arbeitete noch an diesem Thema? Und worin bestand dann jener Schritt (oder Sprung?), der zu Neuem führte? Wobei natürlich das kulturelle Klima der jeweiligen Zeit, sowie Moden auch im Bereich der Wissenschaft mitgedacht werden müssen. Trotzdem wird so ein Bild nur eine Skizze sein.

Durchsetzung

Neue Ergebnisse setzen sich in den meisten Fällen nicht von selbst durch, sondern müssen durchgesetzt werden: durch Publikationen und Vortragstätigkeit. In Kritiken und Rezensionen wird das Ringen um Anerkennung deutlich. Aber auch die Hintergrundinformationen – soweit sie erhältlich sind – über Freund- und Feindschaften im real existierenden Betriebssystem Wissenschaft wollen im Sinne der Wissenschaftsforschung erzählt sein. In kommenden Artikeln soll also immer auch die Rezeptionsgeschichte der Forschungsarbeiten beschrieben werden. Wir werden versuchen, von den gegenwärtigen Preisträgern persönliche Statements zu erhalten.

Was könnte einem aktiven heutigen Forscher die Wissenschaftsgeschichte geben? Außer dem Gefühl, in einer langen Tradition zu stehen, wohl nicht viel. Es sei denn, er sieht das Vergangene unter dem Blickwinkel der Heuristik (gr.: Erfindungskunst). Dabei werden Entdeckungen mit dem Ziel studiert, wiederkehrende Muster aufzuzeigen. Wobei der »context of discovery« neben materiellen und personellen Gegebenheiten von Versuch und Irrtum, Deduktion und Induktion sowie der Achtsamkeit auf Kontingentes und Emergentes konstituiert wird.

Und hier können wir von historischen Beispielen lernen, wenngleich der springende Punkt in Publikationen oft unter der notwendigen logischen Beweisführung verborgen ist. Hier geben dann oft biografische Texte oder Vorworte einen tieferen Einblick in die Genese des Neuen.

Kreativitätshypothesen etwa von Poincaré, Guilford, Koestler oder aus dem Bereich der Neuroscience sind dann Versuche, sich dem zu nähern, was man Einfall nennt und von dem man erwartet, dass er gleichsam durch Gnade von oben einfällt. Dass man selbst ein wenig dazu beitragen kann, daran wollen wir glauben...

In dieser Artikelreihe aus den GÖCH-Heften der »Nachrichten aus der Chemie« sollen einstmalige und gegenwärtige Chemiepreisträger des österreichischen Ignaz-Lieben-Preises auf etwas andere Art vorgestellt werden. Die Beiträge werden nach einem feststehenden Schema die Fragen beantworten: Wie kamen die Geehrten zu ihrer Entdeckung? Wie setzten sie diese durch?

Context of Discovery

Entdeckungen lesend nachzuvollziehen ist eine Art, wie man sich selbst in eine kreative Stimmung bringt. Die vielen tastenden Schritte. Vermutungen, Rückschläge, bis dann etwas funktioniert, messbar wird. Dabei ist die Frage nach dem Zeithorizont interessant: Was wusste man damals, was ahnte man, wer arbeitete noch an diesem Thema? Und worin bestand dann jener Schritt (oder Sprung?), der zu Neuem führte? Wobei natürlich das kulturelle Klima der jeweiligen Zeit, sowie Moden auch im Bereich der Wissenschaft mitgedacht werden müssen. Trotzdem wird so ein Bild nur eine Skizze sein.

Durchsetzung

Neue Ergebnisse setzen sich in den meisten Fällen nicht von selbst durch, sondern müssen durchgesetzt werden: durch Publikationen und Vortragstätigkeit. In Kritiken und Rezensionen wird das Ringen um Anerkennung deutlich. Aber auch die Hintergrundinformationen – soweit sie erhältlich sind – über Freund- und Feindschaften im real existierenden Betriebssystem Wissenschaft wollen im Sinne der Wissenschaftsforschung erzählt sein. In kommenden Artikeln soll also immer auch die Rezeptionsgeschichte der Forschungsarbeiten beschrieben werden. Wir werden versuchen, von den gegenwärtigen Preisträgern persönliche Statements zu erhalten.

Was könnte einem aktiven heutigen Forscher die Wissenschaftsgeschichte geben? Außer dem Gefühl, in einer langen Tradition zu stehen, wohl nicht viel. Es sei denn, er sieht das Vergangene unter dem Blickwinkel der Heuristik (gr.: Erfindungskunst). Dabei werden Entdeckungen mit dem Ziel studiert, wiederkehrende Muster aufzuzeigen. Wobei der »context of discovery« neben materiellen und personellen Gegebenheiten von Versuch und Irrtum, Deduktion und Induktion sowie der Achtsamkeit auf Kontingentes und Emergentes konstituiert wird.

Und hier können wir von historischen Beispielen lernen, wenngleich der springende Punkt in Publikationen oft unter der notwendigen logischen Beweisführung verborgen ist. Hier geben dann oft biografische Texte oder Vorworte einen tieferen Einblick in die Genese des Neuen.

Kreativitätshypothesen etwa von Poincaré, Guilford, Koestler oder aus dem Bereich der Neuroscience sind dann Versuche, sich dem zu nähern, was man Einfall nennt und von dem man erwartet, dass er gleichsam durch Gnade von oben einfällt. Dass man selbst ein wenig dazu beitragen kann, daran wollen wir glauben...


Der Preis

Der Lieben-Preis wurde von 1865 bis 1937 als renommiertester österreichischer Preis für Chemie, Physik und Physiologie an 55 Forscher vergeben. Gestiftet wurde er von der Wiener Bankiersfamilie Lieben, aus der (wie auch aus anderen Familien des damaligen jüdischen Großbürgertums) bekannte Leute hervorgingen. Wie Robert Lieben, der Erfinder der Elektronenröhre, oder der Chemiker Adolf Lieben. Ab 2004 wird der Preis erneut an Forscher (Alterslimit 36 Jahre) der ehemaligen k.u.k.-Länder vergeben.

Unter den einst Ausgezeichneten finden sich bedeutende Namen wie die späteren Nobelpreisträger Fritz Pregl, Victor Hess, Karl v. Frisch und Otto Loewi. Außerdem als eine der drei Preisträgerinnen: Lise Meitner. Doch wir wollen uns hier auf die Chemiker konzentrieren.

Hatte sich 1838 Justus von Liebig noch über den schlechten Zustand der Chemie in Österreich geäußert, verbesserte sich dieser in den kommenden Jahrzehnten. Politisch wurde das Klima liberaler, die entstehende Industrie machte chemisches Know-how lukrativ und selbst die Niederlage von Königgrätz 1866 durch die schneller schießenden Preußen wirkte wie ein Appell gegen die vorherrschende Rückständigkeit.

Stark vereinfacht könnte man sagen, dass in der Folge zwei chemische Traditionen hierzulande besonders erfolgreich waren: Die Naturstoffchemie und die Entwicklung neuer analytischer Methoden.

Schon der Preisträger von 1880, Hugo Weidel, war ein Pionier der Alkaloidforschung, der die Nikotin- und Berberonsäure untersuchte. Sein Kollege Skraup erhielt 1886 den Preis für die Synthese des fiebersenkenden Chinolins. Guido Goldschmiedt (Preis 1892) wurde durch die Strukturdarstellung des Opium-Alkaloids Papaverin bekannt, 1902 war Josef Herzig durch die Aufklärung der Konstitution der Pflanzenfarbstoffe aus der Gruppe der Flavonole (Quercetin, Fisetin etc.) erfolgreich. Selbst der als Theoretiker der physikalischen Chemie bekannte Rudolf Wegscheider synthetisierte den Riechstoff Heliotropin. Der leider nahezu vergessene Hans Meyer (durch sein Lehrbuch für organische Chemie wichtig), der 1942 in Theresienstadt zu Tode kam, klärte die Struktur von Cumarin und Cantharidin auf. Paul Friedlaender, der deutsche Farbenchemiker, erkannte während seines Wienaufenthalts die Struktur des Purpurs als Dibromindigo (1908). Eugen Steinach isolierte aus der Plazenta von Tieren erste zyklusregulierende hormonelle Substanzen (1909 und 1918). Ernst Späth, der Preisträger von 1920, identifizierte mehr als hundertzwanzig Pflanzenstoffe. In den frühen 30er Jahren gab es Preise für Georg Koller, der sich auf Flechtensäuren spezialisiert hatte und Alois Zinke, der sich mit Naturharzen befasste. Das war die Schule der Phytochemie – ebenso wertvoll wie der Aufstieg der in Österreich entwickelten Mikroanalytik: begründet von Friedrich Emich (Preis 1911) und Fritz Pregl (Preis 1914 / Nobelpreis 1923) entstand ein dynamisches Zentrum in Graz. Friedrich Adolf Paneth (Preis 1916) erprobte dagegen mit George de Hevesy (Nobelpreis 1943) in Wien die Tracermethode.

Alles das im Verlauf einer Zeitenwende, in der Klimt und Schiele malen, Mach das Ich für obsolet erklärt und damit Schnitzler beeinflusst, während in den Labors nach Alkaloiden gesucht wird; Freud damit experimentiert und Trakl das Gold der Tage langsam verdämmern sieht.

Quelle: Nachrichten aus der Chemie. Mitteilungsblatt der Gesellschaft Österreichischer Chemiker, Heft 01/2006

Das Buch zum Lieben-Preis:
Rudolf Werner Soukup (Hg.): Die wissenschaftliche Welt von gestern. Böhlau Verlag, 2004

Schon der Preisträger von 1880, Hugo Weidel, war ein Pionier der Alkaloidforschung, der die Nikotin- und Berberonsäure untersuchte. Sein Kollege Skraup erhielt 1886 den Preis für die Synthese des fiebersenkenden Chinolins. Guido Goldschmiedt (Preis 1892) wurde durch die Strukturdarstellung des Opium-Alkaloids Papaverin bekannt, 1902 war Josef Herzig durch die Aufklärung der Konstitution der Pflanzenfarbstoffe aus der Gruppe der Flavonole (Quercetin, Fisetin etc.) erfolgreich. Selbst der als Theoretiker der physikalischen Chemie bekannte Rudolf Wegscheider synthetisierte den Riechstoff Heliotropin. Der leider nahezu vergessene Hans Meyer (durch sein Lehrbuch für organische Chemie wichtig), der 1942 in Theresienstadt zu Tode kam, klärte die Struktur von Cumarin und Cantharidin auf. Paul Friedlaender, der deutsche Farbenchemiker, erkannte während seines Wienaufenthalts die Struktur des Purpurs als Dibromindigo (1908). Eugen Steinach isolierte aus der Plazenta von Tieren erste zyklusregulierende hormonelle Substanzen (1909 und 1918). Ernst Späth, der Preisträger von 1920, identifizierte mehr als hundertzwanzig Pflanzenstoffe. In den frühen 30er Jahren gab es Preise für Georg Koller, der sich auf Flechtensäuren spezialisiert hatte und Alois Zinke, der sich mit Naturharzen befasste. Das war die Schule der Phytochemie – ebenso wertvoll wie der Aufstieg der in Österreich entwickelten Mikroanalytik: begründet von Friedrich Emich (Preis 1911) und Fritz Pregl (Preis 1914 / Nobelpreis 1923) entstand ein dynamisches Zentrum in Graz. Friedrich Adolf Paneth (Preis 1916) erprobte dagegen mit George de Hevesy (Nobelpreis 1943) in Wien die Tracermethode.

Alles das im Verlauf einer Zeitenwende, in der Klimt und Schiele malen, Mach das Ich für obsolet erklärt und damit Schnitzler beeinflusst, während in den Labors nach Alkaloiden gesucht wird; Freud damit experimentiert und Trakl das Gold der Tage langsam verdämmern sieht.

Quelle: Nachrichten aus der Chemie. Mitteilungsblatt der Gesellschaft Österreichischer Chemiker, Heft 01/2006

Das Buch zum Lieben-Preis:
Rudolf Werner Soukup (Hg.): Die wissenschaftliche Welt von gestern. Böhlau Verlag, 2004